In den vergangenen vier Wochen arbeitete ich beim «St.Galler Tagblatt». Da ich sehr gerne lese, schreibe und auch Geschichten selbst verfasse, habe ich mich dazu entschieden, dort ein Praktikum zu absolvieren. Es schien mir die perfekte Möglichkeit zu sein, um die Arbeitswelt des Journalismus kennen zu lernen.
Am frühen Montagmorgen, dem 27. September 2021, fuhr ich mit dem Zug von Zürich nach St.Gallen. Um halb neun wurde ich von meinem neuen Arbeitskollegen Luca Ghiselli, stellvertretender Leiter des Ressort Stadt, beim Empfang des «St.Galler Tagblatts» abgeholt. Er zeigte mir meinen Arbeitsplatz im Newsroom, die verschiedenen Ressorts, die Kantine und die Dachterrasse. In den kommenden vier Wochen würde ich beim Ressort Stadt arbeiten. Aufgrund der nach wie vor geltenden Homeoffice-Empfehlung befanden sich nur wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort in der Redaktion.
Das «St.Galler Tagblatt» ist die grösste Ostschweizer Tageszeitung und gehört zur Mediengruppe CH Media. Diese ist 2018 aus den NZZ-Regionalmedien und AZ Medien entstanden. CH Media hat um die 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vertritt Medienunternehmen wie das «Tagblatt», «Wochenblatt», die «Aargauer Zeitung», «TVO» und «FM1». Die Redaktion des «St.Galler Tagblatts» an der Fürstenlandstrasse ist in folgende Ressorts aufgeteilt: Stadt, Ostschweiz, Sport, und Online. Texte aus der gesamten Ostschweiz werden zusammengeführt und erscheinen entweder online auf tagblatt.ch oder im Print des «St.Galler Tagblatts». Zudem arbeiten auch Redaktoren der Appenzeller Zeitung – der appenzellischen Ausgabe des Tagblatts – im Newsroom in St.Gallen.
Im Vorfeld wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Welcher Rhythmus bestimmt die Arbeit in einer Redaktion? Wie konkret sind die einzelnen Tage geplant? Wie lange arbeitet man? Welche Themen interessieren die Leser? Diese und viele weitere Fragen wurden mir nach und nach beantwortet. Am ersten Tag blieb ich bis abends um fünf Uhr in der Redaktion. Um viertel nach sechs Uhr war ich zu Hause und empfand das als sehr spät. Da wusste ich noch nicht, dass sechs Uhr abends für mich bald früh sein würde. Während des Praktikums wohnte ich abwechselnd bei meinen Grossmüttern. Beide wohnen in Arbon am Bodensee – nur unweit von St.Gallen.
Der Arbeitstag begann jeweils um neun Uhr mit einer Morgensitzung. Die neuste Ausgabe und das Programm für den Tag wurden dann besprochen. Einzelne Zeitungsartikel entstanden aus dem Tag heraus. Dies bedeutet, dass sie am gleichen Tag recherchiert und geschrieben werden und bis zum Abend fertig sein mussten. Andere wurden über längere Zeit schon vorbereitet. Verschiedene Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen nahmen mich im Verlaufe der vier Wochen auf Ausseneinsätze mit.
Mitten in der Arbeitswelt
So durfte ich am zweiten Tag bereits den Volontär Renato Schatz begleiten. Wir trafen uns mit einer Architekturprofessorin und einem ihrer Studenten. Sie hatten eine Projektwoche abgeschlossen und die entstandenen Projekte auf einem Platz ausgestellt. Der Journalist Renato Schatz nahm das Gespräch auf. Sie erklärten uns die Idee hinter dem Projekt und welche Schwierigkeiten mit der Umsetzung verbunden waren. Später hörte ich mir die Aufnahme an und verfasste meinen ersten Zeitungsartikel.
Während man die Informationen zusammenträgt, welche man für einen Artikel braucht, fängt man an ihn zu schreiben. Die verwendeten Aussagen werden den jeweiligen Personen zum Autorisieren zugeschickt. Ist der Artikel publikationsbereit, wird er von jemandem aus dem Ressort gegengelesen und später in das Korrektorat geschickt. Das Korrektorat von CH Media befindet sich in Banja Luka. Ehemalige Germanistikstudentinnen und -studenten prüfen dort die Texte auf Fehler. Die Artikel werden nach der Devise «Online-First» zuerst Online geschrieben und dann in den Print exportiert. Für die Printvariante muss meistens der Titel und Lead noch gekürzt werden. Am späten Nachmittag, wenn die Produzentin die Zeitungsseiten für den nächsten Tag im Computerprogramm aufgezogen hat, kann es sein, dass man seinen Text noch kürzen muss, da man im Print nicht unbegrenzt Platz zur Verfügung hat. Diesen Prozess einmal durchzumachen, zeigte mir, wieviel Arbeit für einen Artikel aufgewendet werden muss.
Aufgrund der Herbstferien waren die Themen etwas knapper. Deshalb konnte ich nicht täglich einen Zeitungsartikel schreiben. Denn selbst wenn man eine konkrete Idee hat, weiss man im Vorhinein nicht, ob sich daraus tatsächlich ein Artikel ergibt. Bei manchen Telefonaten, die ich führte, stellte sich schlussendlich heraus, dass man zu einem Ereignis noch nichts sagen konnte, oder dass die zuständige Person noch in den Ferien weilte. Dafür konnte ich einspringen, wenn etwas spontan gemacht werden musste. Wie zum Beispiel, als eines Mittags eine Fliegerstaffel über die Stadt flog. Ich rief bei der Medienstelle der Stadtpolizei und der gerade stattfindenden OLMA an, um den Anlass in Erfahrung zu bringen. In dem Zeitungsartikel erklärte ich dann, weshalb die Fliegerstaffel über St.Gallen flog.
In diesem vierwöchigen Praktikum konnte ich wichtige Erfahrungen sammeln. Unter Anderem verstand ich allmählich Fachbegriffe wie «Aufmacher» (ein grosser Text oben auf der Seite), «Abmacher» (ein kleiner Text unten auf der Seite), «Einspalter» sowie intern verwendete Begriffe. Am Nachmittag, wenn die Produzentin langsam die fertig verfassten Artikel zugestellt bekam, entstanden Randspalter sogenannte «Einspalter». Hier kommen Kurzmeldungen hin wie Veranstaltungshinweise oder Polizeimeldungen. Meist liegt eine Medienmitteilung vor, die man «verschreibt». In diesem Zusammenhang habe ich gelernt, wie man sich kurzhält und nur die wichtigsten Informationen mitteilt. Zum Teil ist es schwieriger sich kurzzuhalten, als einen langen Text zu schreiben. So hatten wir einmal ein Gottesdienstprogramm für das Wochenende, das wir verschreiben mussten. Da wir jedoch nur wenige Zeilen zur Verfügung hatten, hätte ich das allein wohl nicht geschafft. Mit etwas Hilfe von meiner Arbeitskollegin Dinah Hauser, Redaktorin und Produzentin, konnte ich diesen «Einspalter» schliesslich doch noch verfassen. Es war eine richtige Kniffelei. An solchen Tagen verliess ich die Redaktion erst zwischen sechs und sieben Uhr, woran ich mich jedoch rasch gewöhnte.
Dinah und ich waren an einem Vormittag zusammen mit einem Fotografen auf dem Güterbahnhof. Dort wurden die Gleise der Appenzeller Bahn neu verlegt, weshalb der Unterstand des Lösch- und Rettungszugs der SBB Intervention verschoben werden musste. Uns wurde der Perron, der entsprechende Zug und die Wohnung und das Büro der Mitarbeitenden gezeigt. Insbesondere die Besichtigung des Führerstands war sehr beeindruckend.
Mir gefiel es sehr, meine Kolleginnen und Kollegen zu begleiten. Der andere Praktikant Pascal Keel nahm mich ebenfalls einige Male mit. Einmal trafen wir den Präsidenten der St.Galler Studentenverbindung Zofingia. Ein andermal fuhren wir mit der S-Bahn nach Mörschwil, wo ein Glasfasernetz verlegt wurde und sprachen dort unter anderem mit der Gemeindepräsidentin über die Arbeiten.
In der letzten Woche erfuhren wir von einer Signierstunde in der Buchhandlung Rösslitor in St.Gallen. Der bekannte Schweizer Sänger Luca Hänni hatte eine Biografie geschrieben. Die Volontärin Sabrina Manser und ich gingen vorbei. Bevor er die Signierstunde eröffnete, konnten wir ein kurzes Interview mit ihm führen. Er war in meinem Alter, als er erfolgreich wurde und ist dennoch bodenständig geblieben. Dies war unser erster Eindruck von ihm.
Über sich hinauswachsen
Im Beruf des Journalismus setzt man sich mit Themen auseinander, mit welchen man sonst vielleicht nicht in Kontakt kommen würde. Man trifft verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Geschichten. Das gefällt mir sehr. Es gibt immer etwas Neues zu sehen und zu erzählen. In diesen vier Wochen hatte ich das Gefühl, dass ich oft über mich hinausgewachsen bin. Denn ich tat Dinge, die ich noch nie zuvorgetan hatte und vor denen ich mich bislang lieber gedrückt hätte. Mit fremden Leuten zu sprechen, fiel mir noch nie leicht. Aber die Telefonate musste ich führen, um an die Informationen für meine Artikel zu gelangen. Es geht überraschend leicht, wenn man sich traut.
In der letzten Woche hatte ich einen Termin mit dem Niederlassungsleiter der St.Galler Kantonalbank und dem Projektleiter eines Bankneubaus in Wittenbach. Bis jetzt hatte ich meine Arbeitskollegen nur begleitet und dabei höchstens ein oder zwei Fragen gestellt. Doch zu diesem Termin musste ich allein hingehen und selbst die Fragen stellen, die Antworten aufschrieben und Fotos machen. Mein Herz klopfte laut, als ich die Tür zum Provisorium der St.Galler Kantonalbank öffnete. Das Gespräch ging schnell und verlief gut. Die zwei Herren haben gewusst, dass ich Praktikantin war und haben sicherlich gemerkt, dass ich so etwas noch nie gemacht habe. Sie blieben geduldig und gaben mir nie das Gefühl, dass ich ihnen ihre Zeit stehle. Von dem Moment an, als ich die Bank verliess und das Foto der Baustelle für den Artikel schoss, hatte ich das Gefühl, dass ich zukünftig eine derartige Aufgabe gelassener meistern würde. Es braucht Überwindung, mit fremden Menschen zu sprechen. Aber jetzt bin ich in der Lage, Leute auf der Strasse etwas zu fragen oder jemanden anzurufen.
Die vier Wochen beim «St.Galler Tagblatt» stellten eine wertvolle Erfahrung für mich dar und haben mir sehr gut gefallen. Dabei konnte ich den Alltag in einer Redaktion einer Tageszeitung kennenlernen und habe viel Neues gesehen und erlebt. Auch die Ostschweiz, welche ich seit frühester Kindheit kenne und wo meine Eltern aufgewachsen sind, habe ich noch mehr schätzen gelernt. Die Zeit, welche ich mit meinen Grossmüttern verbringen durfte, habe ich ebenfalls sehr genossen. Es tat mir gut, mich auf Neues einzulassen und mir einen ersten Eindruck von der Arbeitswelt zu verschaffen.
Faida Kazi
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